Der Zeitgenosse - Buchkritik
Pressedienst Nr. 1, (März 1996)
Hans Werner Saß (Hrsg.): »Heribert Losert. Ein Maler der Moderne.«

zurück




Künstlergespräche

Hans Werner Saß (Hrsg.):
Heribert Losert. Ein Maler der Moderne. Künstlergespräche.
Mit 56 farbigen und 135 s/w-Abb., Verlag des Zeitgenossen, München, Ln., 181 S., 88.- Mark

Das Werkstattgespräch hat seine eigene Dramaturgie. Es kreist um einen Mittelpunkt, der die Frage nach dem Wesen der Kunst selbst ist. Der Dialog, der sich von vielen Seiten, aber immer behutsam diesem Zentrum annähert, darf keine Fachsimpelei sein, sondern muß das in Kunstdingen noch ungeschulte Publikum mit einbeziehen. Es gibt nicht viele Künstler, die mit ihrem Werk zugleich das Ganze der Kunst im Auge haben. Beckmann, Klee, Picasso, Grieshaber, Miró - sie alle nehmen geistig an diesem Gespräch teil. Wo immer sie zitiert oder in einen Gedankengang einbezogen werden, bilden sie einen Bezugspunkt für den Dialog.
Diese Gespräche sind selbst ein schöpferischer Prozeß. Ähnlich dem Gestaltungsgang, der zu einem Kunstwerk führt, steuern sie zielstrebig, aber immer mit überraschenden Wendungen das große Thema an, das vor nunmehr vierzig Jahren der große Kunsthistoriker und Romanschriftsteller Georges Bataille angesichts der Höhlenbilder von Lascaux in seinem Werk über die Geburt der Kunst anstimmte: Der Homo sapiens habe aus dem Nichts die Kunst geschaffen und damit vor aller geschichtlichen Überlieferung den Menschengeist geformt, damit er über die Jahrtausende hinweg sich mitteilen kann.
Auch wenn der Kunstprofessor Losert und seine beiden Gesprächspartner (der Münchner Psychotherapeut Hans Werner Saß und die Kultursoziologin Mira Maase) in ihrer Kunstbetrachtung nicht so weit gehen wie Bataille und sich "nur" auf die etwa dreitausend Jahre Kunstgeschichte beziehen, die uns auch durch schriftliche Überlieferung erschlossen sind, so wird doch klar, daß sich die Entwicklung der Kunst gesetzmäßig und in zahlreichen Schüben vollzogen hat, die mit einer jeweils höheren Geistesstufe der Menschheit einhergegangen sind.
Die Kunst ist älter als die Philosophie. Kunstbetrachtung, wie sie in diesem Werk betrieben wird, zeigt denn auch zunächst die handwerklichen Bezüge und die künstlerischen Gesetzmäßigkeiten auf, wie sie sich in der Gestaltung von Horizontale und Vertikale, von Diagonale und Kreis, von Linie und Raum etc., entwickelt haben. Ehe über die Inhalte von Kunstwerken gesprochen werden kann, muß ihre formale Gestaltung geprüft werden, weil die Form für die Kunst nichts Äußerliches ist.
Das Grundgesetz der Kunst heißt Komposition. In diesem Sinne entscheidet das „Wie ist das gemacht?" in erheblichem Maße mit über die künstlerische Wirkung. Losert demonstriert das an seinen eigenen Bildern wie an Werken der Kunstgeschichte, die hier mit abgebildet und erläutert werden. Wir sind hier in der Ästhetik der Moderne. Der Reiz der Losertschen Bilderwelt liegt in der poetischen Ausdruckskraft der von ihm gemeisterten und gelehrten Technik des Aquarells. Es sind Lehrbuch-Beispiele für eine Kunstauffassung, die das Unsichtbare sichtbar machen will.
Das Geheimnis der Kunst erschließt sich über Form und Farbe. Das Rätselhafte an der Moderne wird hier nicht erklärt, aber auch der Laie stößt sich nicht mehr an dem scheinbar Unverständlichen, wenn er - durch diese Gespräche an die Hand genommen - seinen eigenen Kunstverstand entwickeln kann.
Losert ist hier ganz der Kunstpädagoge, der seine jahrzehntelange Erfahrung im Malen und Lehren weitergibt. Das dritte Buch über ihn ist nicht nur das endgültige Losert-Buch - es macht auch Unterscheidungen wieder möglich, die in der allgemeinen Belanglosigkeit des Kunstbetriebs verdrängt worden sind. Endlich stellt einer die Maßstäbe für das, was Kunst ist, wieder her, und es fällt uns wie Schuppen von den Augen.
Kaspar Heilig

Seite drucken Suche