Peter Weiss


Do. 31. Januar 2008
20.00 Uhr
Ein Unzeitgemäßer kehrt zurück

Jens-Fietje Dwars (Jena)
stellt seine neue Biographie über
den Jahrhundert-Schriftsteller Peter Weiss vor:
»Und dennoch Hoffnung«
(unser Buch des Monats Juni 2007)

Lesung und Diskussion


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Peter Weiss (1916-1982), Emigrant, seit 1945 schwedischer Staatsbürger, Künstler (Gemälde, Zeichnungen, Collagen, Dokumentarfilme). Seit 1960 Schriftsteller. 1968 Mitglied des Russell-Tribunals zur Verurteilung des Vietnam-Kriegs. Als Dramatiker Durchbruch durch das Stück über Marat / de Sade. Aufsehen erregend auch »Die Ermittlung«, ein Oratorium in 11 Gesängen, eine szenische Dokumentation des Auschwitz-Prozesses. Als sein Hauptwerk gilt das Prosabuch »Die Ästhetik des Widerstands« (3 Bde.), 1975-1981, in dem laut Heinrich Vormweg "das Grundmuster sichtbar wird hinter all den Widersprüchen, die kennzeichnend sind für die Arbeit, für die Entwicklung des Schriftstellers Peter Weiss, eine Kontinuität, der sich immer wieder der Bruch dialektisch zuordnete, und die für alle Lebenden eine Herausforderung bleibt."

Der promovierte Philosoph Jens-Fietje Dwars (Jg. 1960) schafft mit seiner Weiss-Biographie für alle Jüngeren und Nachgeborenen einen Zugang zu Leben und Werk dieses Autors, der seinerzeit zwischen allen Stühlen saß.



Aus der Einführung von Mira Maase

Ich möchte diese Einführung zum heutigen Peter-Weiss-Abend mit zwei kurzen Zitaten beginnen. Das erste ist von Peter Weiss selbst und findet sich in der Veröffentlichung seiner Notizbücher 1971-80. Da heißt es:

"Das geschriebene Wort ist die gefährlichste aller Kunstarten. Immer zuerst und am hartnäckigsten verfolgt, zensuriert, verboten. Die Schreiber immer die, die zuerst, und am vollständigsten, der Bestrafung, Verfemung, Einkerkerung ausgesetzt sind. Das Wort die konkreteste Kunstart. Das Wort am nacktesten, schlagkräftigsten - die Gegengewalt vor allem gegen das Wort gerichtet."

Daß sich hier ein Künstler, der ursprünglich nur Maler und/oder Filmemacher sein wollte, für das Wort entschieden hat, stellt ihn in seiner Zeit auf die gleiche Höhe wie Brecht oder Sartre. Denn es ist der Intellektuelle, der mittels des geschriebenen Wortes die Herrschaftsverhältnisse des 20. Jahrhunderts hinterfragt.

Das zweite Zitat stammt von dem Maler und Schriftsteller Christoph Meckel, der 1982 noch kurz vor dem Tod von Peter Weiss bei der Verleihung des Bremer Literaturpreises die Laudatio hielt:

"Das geschriebene Wort ist der gefährlichste Wahrheitserreger, er wirkt sich öffentlich wie verborgen aus. Es ist die alte Leier, das alte Lied: Eroberer, Demagogen und Potentaten, die Häscher von Kirche und Staat, die Horden der Barbarei beseitigten die Zeugen ihrer Verbrechen, blendeten, folterten und verbrannten sie, zerschlugen die Köpfe der Statuen und ihr Schweigen, vernichteten Bibliotheken, richteten Giftschränke ein, fälschten Geschichtsschreibung und Lexika, und das hat sich bis heute nicht geändert. Für den Grund-Satz, daß das geschriebene Wort die gefährlichste aller Kunstarten sei, haben die Deutschen ein Beispiel gegeben: Die Bücherverbrennung fand statt nach der Machtübernahme, im Mai 33, die Vernichtung der Kunst - ENTARTETE KUNST – vier Jahre später."

25 Jahre nach dem plötzlichen und viel zu frühen Tod von Peter Weiss ist nun eine Biographie erschienen, die Leben und Werk dieses Jahrhundertschriftstellers für die Nachgeborenen in einer gut lesbaren Form durchleuchtet.

Autor ist Jens-Fietje Dwars, Jg. 1960, und damit eine gute Generation jünger als Peter Weiss, der über die Anthropologie bei Ludwig Feuerbach promovierte und sich als Herausgeber, Biograph, als Filmemacher und Ausstellungskurator schon einen Namen gemacht hat. Wir werden heute Abend Peter Weiss in Wort und Bild vorgestellt bekommen und freuen uns sehr auf das Gespräch.

Jens Fietje Dwars 31.1.2008 - Foto Peter Worm
Foto: © Peter Worm


Kurzbiographie Peter Weiss (1916-1982)


Peter Weiss

1916 Geboren am 8. November in Nowawes bei Berlin.

1918 Umzug nach Bremen; der Vater, Ungar jüdischer Abstammung, nimmt die tschechische Staatsbürgerschaft an und konvertiert ein Jahr später zum protestantischen Glauben.

1929-1934 Umzug nach Berlin; Besuch von Gymnasium, Malerei- und Handelsschule.

1934 Unfalltod der Schwester Margit Beatrice.

1935 Flucht mit den Eltern nach England und Arbeit im Büro des Vaters.

1936 Ausstellung von Bildern in einem Lagerraum in London, u.a. mit Die Maschinen greifen die Menschen an (1935); Umzug mit den Eltern nach Warnsdorf in Böhmen.

1937-1938 Aufenthalt bei Hermann Hesse in Montagnola; durch dessen Vermittlung Studium an der Prager Kunstakademie.

1938 Flucht der Eltern nach Alingsås, Schweden, wo der Vater eine Textilfabrik übernimmt.

1939 Peter Weiss folgt den Eltern nach Schweden; in den nächsten Jahren verschiedene Tätigkeiten, darunter als Holzfäller und in der Fabrik des Vaters; nach Kriegsende Erhalt der schwedischen Staatsbürgerschaft.

1941 Erste schwedische Ausstellung in Stockholm, der bis Anfang der fünfziger Jahre weitere Ausstellungen in Schweden folgen. Psychoanalyse bei Iwan Bratt.

1943 Heirat mit der Malerin und Bildhauerin Helga Henschen; im folgenden Jahr Geburt der Tochter Randi Maria.

1947 Debut mit Fran ö till ö (dt. 1984: Von Insel zu Insel), Prosagedicht. Korrespondent für Stockholms-Tidningen in Berlin. Scheidung von Helga Henschen.

1948 Die Berlin-Berichte erscheinen als Buch: De besegrade (dt. 1985: Die Besiegten). Der Vogelfreie (1980 unter dem Titel Der Fremde).

1953-1960 Filmstudien, experimentelle Filme, Dokumentarfilme.

1958/59 Tod der Mutter (Dezember 1958), dann des Vaters (März 1959).

1960 Der Schatten des Körpers des Kutschers mit Collagen des Autors; (entstanden 1952).

1961 Abschied von den Eltern, autobiographische Erzählung; Übersetzung von Strindbergs Fräulein Julie.

1962 Fluchtpunkt, Roman. Erste Teilnahme an einer Tagung der Gruppe 47 in Berlin.

1963 Das Gespräch der drei Gehenden, Fragment.

1964 Heirat mit der Keramikerin und Bühnenbildnerin Gunilla Palmstierna. Uraufführung des Marat / Sade am Berliner Schiller-Theater.

1965 Uraufführung des Oratoriums Die Ermittlung an sechzehn Bühnen. Zehn Arbeitspunkte eines Autors in der geteilten Welt.

1966 Heinrich-Heine-Preis der Deutschen Akademie der Künste (DDR).

1967 Gesang vom Lusitanischen Popanz in Stockholm uraufgeführt. Mitwirkung am Russell-Tribunal gegen den Vietnam-Krieg in Stockholm / Roskilde.

1968  Uraufführung des Viet Nam Diskurs in Frankfurt am Main. Eintritt in die schwedische Linkspartei der Kommunisten.

1970 Trotzki im Exil am Düsseldorfer Schauspielhaus uraufgeführt. Herzinfarkt.

1971 Hölderlin in Stuttgart uraufgeführt.

1972 Geburt der Tochter Nadja. Beginn der Arbeit an Die Ästhetik des Widerstands.

1975  Die Ästhetik des Widerstands, erster Band.

1978 Der zweite Band der Ästhetik des Widerstands erscheint.

1981 Der dritte Band der Ästhetik des Widerstands und die Notizbücher 1971-1980 erscheinen.

1982 Uraufführung Der neue Prozeß am Dramaten in Stockholm. Bremer Literaturpreis und Schwedischer Theaterkritikerpreis, Zuerkennung des Georg-Büchner-Preises, postum.
10. Mai in Stockholmer Klinik gestorben.
Die Notizbücher 1960-1971 erscheinen postum.


Peter Weiss "Die Maschinen greifen die Menschen an"

Die Maschinen greifen die Menschen an (1935)
Um die Jahreswende 2007/2008 mit vier- bis fünfhundert
anderen Bildern in Stockholm gestohlen.


Peter Weiss: Zitate

"[...] Die Gesamtkunst, fuhr er fort, die Gesamtliteratur ist in uns vorhanden, unter der Obhut der einen Göttin, die wir noch gelten lassen können, Mnemosyne. Sie, die Mutter der Künste, heißt Erinnrung. Sie schützt das, was in den Gesamtleistungen unser eignes Erkennen enthält. Sie flüstert uns zu, wonach unsre Regungen verlangen. Wer sich anmaßt, dieses aufgespeicherte Gut zu züchten, zu züchtigen, der greift uns selbst an und verurteilt unser Unterscheidungsvermögen. Manchmal sind mir schon die Kunsthistoriker zuwider, die mit erhobnem Zeigefinger die Vieldeutigkeit jedes einzelnen Werks vergessen, diejenigen aber, die aus politischen Erwägungen Zwänge vornehmen, wissen vom Wesen der Kunst nichts. Mit ihrem Bilderstürmen, ihren Bücherverbrennungen, ihrer Bekämpfung nicht genehmer Ansichten stellen sie sich als Angehörige der Inquisition dar. Unverblümt bricht die Ideologie in ein Gebiet ein, das ihr wohl verbunden sein könnte, das sich ihr aber verschließen muß, wenn sie Unterordnung fordert. Marx und Engels wußten dies, und auch Lenin hätte seine Stellung nie dazu ausgenutzt, andern seine Ansichten über Kunst aufzuzwingen. [...] Wir bestanden darauf, daß Joyce und Kafka, Schönberg und Strawinsky, Klee und Picasso der gleichen Reihe angehörten, in der sich auch Dante befand, mit dessen Inferno wir uns seit einiger Zeit beschäftigten."

(Aus: Die Ästhetik des Widerstands. Roman. Frankfurt am Main 1975, Bd.1, S. 77ff)

"Was ist unsere Beziehung zur Kunst, bildenden Kunst, Musik, Literatur, anderes als das Arsenal, das wir in uns haben, oder ein Reservoir von Dingen, aus denen wir ständig unsere Erfahrungen aktualisieren können? Und zwar aus allen Zeitaltern; das ist ja das Großartige der Kunst. Deshalb spielt die Kunst eine derartige Rolle, weil sie eigentlich das einzig Bestehende neben den Aufständen und Kämpfen, die immer wieder stattgefunden haben, ist. Es sind immer wieder Kunstwerke produziert worden, Kunstwerke von einer bleibenden Überzeugungskraft. Ob das zweitausend oder zehntausend Jahre zurückliegt oder ob es ganz neue, gegenwärtige Dinge sind, die da geleistet wurden: es bleibt doch immer Ausdruck von dieser merkwürdigen und sehr schwer faßbaren Kraft, die einem schöpferischen Prozess zugrundeliegt."

(Aus: Peter Weiss im Gespräch mit Burkhardt Lindner: Zwischen Pergamon und Plötzensee oder Die andere Darstellung der Verläufe. In: Ästhetik des Widerstands lesen. Berlin 1981. S. 162 f.)


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