Buchkritik Felicia Langer »Miecius später Bericht«

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Schwäbisches Tagblatt, Sa. 15. Mai 1999

Die Liebe meines Lebens

Felicia Langer schrieb ein Buch über ihren Mann Mieciu

TÜBINGEN (wie). Wenn man die beiden bei der Lesung nebeneinander sitzen sieht, sie völlig aufgewühlt, er ganz ruhig, ohne eine Miene zu verziehen, dann ahnt man vielleicht, welche Kämpfe es gekostet haben mag, dieses Buch niederzuschreiben. »Miecius später Bericht« ist wahrscheinlich Felicia Langers persönlichstes Buch, aber auch ihr schwerstes. „Ich schreibe die Geschichte aus Miecius Mund heute auf', heißt es da, „doch obwohl ich sie bereits gehört habe, kann ich die Tränen des Leids und des Schmerzes nicht zurückhalten."

Während die Schreiberin weint, bleiben die Augen des Erzählers trocken. Das Grauen weigere sich, zu ihrem Mann zurückzukehren, meint Felicia Langer. Sie aber wird die Bilder nicht mehr los. „Mieciu erzählt das alles mit nahezu monotoner Stimme, aber das Grauen nimmt für mich das Gesicht des achtzehnjährigen Hugo Gichners an, der am Ende seiner Kräfte im Straßengraben sitzt und auf den Tod durch seine Mörder wartet."

Lange hatte Mieciu Langer geschwiegen, von Hugo Gichner und den anderen, deren Hinrichtungen er mit ansehen mußte, die vor seinen Füßen gestorben sind. Das Schweigen war sein Schutz, es hat ihm die Rückkehr ins Leben ermöglicht. Als "mageren Jungen mit gebräunter Haut" lernte ihn Felicia Langer nach dem Krieg in einem jüdischen Waisenhaus kennen. Sie heirateten und folgten Felicias Mutter nach Israel, wo Felicia Langer begann, für die Rechte der Palästinenser zu kämpfen, ein Kampf, der sie nicht losgelassen hat.

Und Mieciu? Erst vor sieben Jahren, bereits aus Israel nach Deutschland gekommen, brach er sein Schweigen und erzählte öffentlich, was er erlitten hatte in Plaszow. Czestochowa. Buchenwald. Rehmsdorf. Theresienstadt. Fünf Konzentrationslager, denen er wie durch ein Wunder entronnen ist.

Mieciu Langer spricht über all das Furchtbare nahezu emotionslos, manchmal mit einem Anflug von schwarzem Humor. Irgendwie scheint er es geschafft zu haben, sich innerlich in Sicherheit zu bringen. Nur in seltenen Momenten schimmert der erlittene Schmerz durch, so, wenn er von seinem Vater erzählt, den er in Buchenwald zurückließ, wohl ahnend, daß er ihn nicht wiedersehen würde: „Mit siebzehn hat man noch nicht die Gefühle gegen die Eltern, die Eltern gegen die Kinder haben", sagt er. Sein Vater wurde zuletzt auf einem der Todesmärsche gesehen, und manchmal fragt er sich, ob er ihn nicht hätte retten können.

»Miecius später Bericht« ist mehr als eine Wiederholung dessen, was Mieciu Langer schon erzählt hat und weiter erzählt, damit es nicht in Vergessenheit gerät. Das Buch ist zugleich eine Liebeserklärung Felicias an ihren Mann, "die Liebe meines Lebens". Indem sie seine Vergangenheit aufschreibt, kommt sie ihm näher. Zusammen fahren sie zu den Orten des Schreckens, sehen Krakau, wo die Leidensgeschichte ihres Mannes im Ghetto angefangen hat, aber auch ihrer beider Liebesgeschichte. Erinnerungen kommen hoch, und die Autorin schämt sich ihrer Gefühle nicht.

Freilich wäre Felicia Langer nicht die Kämpferin für die Menschenrechte, die sie ist, wenn sie »Miecius später Bericht« nicht in einen Appell münden ließe, die palästinensische Sache betreffend. Im Nachwort heißt es: „Aus Achtung vor dem Andenken an all jene Opfer und im Geiste ihres Vermächtnisses, das Menschlichkeit heißt, prangere ich die jahrzehntelange Unterdrückung der Palästinenser durch Israel an." Damit macht sie sich durchaus angreifbar, aber wann hätte sie das je gestört

Felicia Langer, „Miecius später Bericht: Eine Jugend zwischen Ghetto und Theresienstadt", Lamuv-Verlag, Göttingen, 139 Seiten, 16,80 Mark.

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