Theaterkritik Klaus Henner Russius
"Michael Kohlhaas"

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Am Anfang geht es nur um die Dickfütterung von zwei erbärmlichen Rappen. Am Schluß ist eine Frau gestorben, ist eine Burg eingeäschert und eine Stadt mehrmals angezündet worden; ein Kurfürst zittert, ein Kaiser bebt, und ein Mann muß aufs Schafott. Das Recht hat recht bekommen, so gnadenlos, wie es nur in einem Western möglich ist - oder in Preußen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts warf Heinrich von Kleist seinen »Michael Kohlhaas« in die Debatte um Naturrecht und Staatsräson, Rache und Rechtssicherheit. Der Schauspieler Klaus Henner Russius nun erzählt die Geschichte des Selbsthelfers Kohlhaas noch einmal nach. Russius hat den Inhalt des Textes zwar eingestrichen, aber er bleibt seinem Gehalt so unbedingt treu wie der Roßhändler Kohlhaas seinem Gerechtigkeitssinn. Kohlhaas und Russius haben beide ein starkes Gedächtnis. Kohlhaas kann nicht vergessen, wie seine zwei Rappen konfisziert und drangsaliert wurden durch einen Landjunker. Und Russius erinnert noch einmal an jede Einzelheit, jede Betonung, jede Sprachgeste dieser Erzählung. Wer der Western müde ist, der gehe ins Theater. Statt Revolver- und Maulhelden: Sprachkünstler. Statt blauer Bohnen: Geistes Gegenwart. Zu seinem Recht kommt an diesem Soloabend vor allem einer: Heinrich von Kleist.

Klaus Henner Russius nimmt kein Blatt vor den Mund, er liest den Text nicht ab. In ihm lebt der Erzähler. In Russius spricht Kohlhaas, in ihm windet sich der Junker in Unsicherheit und aalt sich der Anwalt in Selbstbewußtsein. Durch Russius hindurch fordern die Frauen, Gnade vor Recht ergehen zu lassen: Lisbeth, die Frau von Kohlhaas, erinnert ihn an Heim und Herd, und nachdem sie gestorben ist, taucht sie in Gestalt der Wahrsagerin wieder auf, um die Zukunft der Kinder einzuklagen. Klage und Gegenklage, falsche Rechthaberei und echtes Unrechtsbewußtsein finden im Schauspieler ihren gemeinsamen Gerichtsort. Aber Russius richtet nicht. Er läßt dem Sprachfluß seinen furchtbaren, unaufhaltsamen Lauf Russius erzählt, wie es der Dichter befahl.

Klaus Henner Russius betritt das Theater als Erzähler, der aus einer alten Chronik berichtet wie Kleist, und er verläßt die Bühne, um aufs Schafott zu gehen wie Michael Kohlhaas. Dazwischen: keine Gefühlsraserei, kein Verzweiflungsgefuchtel, kein Demutsgebaren. Kohlhaas ist kein Rächer der Enterbten, Kohlhaas kommt aus dem Brandenburgischen, hier sind die Gefühle so trocken wie der märkische Sand. Wenn gekämpft wird, dann um Sachlichkeit. Wenn Kohlhaas seinen Feldzug beginnt für die Gerechtigkeit, dann prüft er sein Anliegen lieber zweimal. Wenn Russius die Lage schildert, dann mit sparsamen Gesten. Wer so haushaltet, weiß um die Wirksamkeit auch beschränkter Mittel. Winziges wird zum Fingerzeig. Einmal ist Stille an diesem Abend, nur die Hand des Erzählers wandert - hin und wieder zurück, wie ein Unheil. Das genügt, um zu merken: Lisbeth tut für Kohlhaas einen schweren Gang, sie bittet beim Junker um Gerechtigkeit, sie wird zurückkehren, aber halb tot geschlagen. Jetzt ist es genug, aus Bedächtigkeit bricht Wut bei Kohlhaas.

Deutlich wie Kleist setzt Russius die Zäsuren. Geht stetig vorwärts, Zug um Zug, Roßhändler gegen Fürsten, Bittschrift gegen Anklageschrift: Brief für Brief stapelt sich hier im Krieg der Papiere. Und so akribisch, wie Kleist in seinen Schachtelsätzen jedes Detail verzeichnet, so konsequent wie sich Kohlhaas verrennt, so genau schildert Russius scheinbare Nebensächlichkeit. Den Kurfürsten auf der Jagd, die Dame Heloise mit der Lockenperücke, Früchte und Kuchen, Liebe und Wein. Kleist läßt seinen Kohlhaas zwar offenen Auges in den Tod rennen - wie in einem einzigen atemlosen Erzählzug. Aber mit jedem eingebauten Nebensatz hält er ihn noch einmal zurück. Sensibel für diese Gegenläufigkeit im Text spielt Russius beide Prinzipien: Leben und leben lassen - und Gerechtigkeit um jeden Preis; die Liebe zum Detail des Alltags - und die große Rechtsangelegenheit. Kohlhaas stirbt auf dem Papier -aber mit Russius lebt er weiter, exakt 90 Minuten lang, Kleine Bühne, Theater Basel.

Christine Richard

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